Aktuelles

Buchpräsentation
„Missbrauch und Gewalt –
Erschütternde
Erfahrungen und notwendige Konsequenzen“
Es kann keinen Schlussstrich gegeben – Kampf gegen Missbrauch und Gewalt und Prävention sind eine Daueraufgabe für Kirche, Staat und Gesellschaft
Waltraud Klasnic und die Mitglieder der Unabhängigen Opferschutzkommission präsentierten am Dienstag, 19. November 2013 im Wiener Presseclub Concordia das Buch „Missbrauch und Gewalt“ mit dem den Inhalt bereits klar umschreibenden Untertitel „Erschütternde Erfahrungen und notwendige Konsequenzen“. In diesem Buch sind Erfahrungen von nunmehr schon mehr als 3 ½ jähriger Tätigkeit der Unabhängigen Opferschutzkommission komprimiert mit klaren Vorschlägen für die Zukunft, insbesondere Prävention und Prophylaxe, zusammengefasst.
Klasnic dankte bei dieser Präsentation allen Kommissionsmitgliedern – Brigitte Bierlein, Hubert Feichtlbauer, Reinhard Haller, Udo Jesionek, Ulla Konrad, Werner Leixnering, Caroline List und Kurt Scholz – für die Bereitschaft, sich ehrenamtlich für diese oft auch menschlich aufwühlende und notwendige Pionierarbeit zur Verfügung gestellt zu haben. Die Opferschutzanwältin zeigte sich stolz auf die Zusammensetzung dieser Kommission und betonte, dass die Arbeit und Modelle der Kommission die notwendige Nachahmung in anderen Gebietskörperschaften und Institutionen gefunden haben.
„Als die Kommission und ich die Tätigkeit begonnen haben, war uns die Dimension von Missbrauch und Gewalt nicht bewusst – mir jedenfalls ganz sicher nicht.“ führte Klasnic weiter aus. Bis heute wurden 1381 Meldungen von Betroffenen von Missbrauch und Gewalt im Bereich der katholischen Kirche Österreichs herangetragen, für die wir bis heute 1259 Entscheidungen treffen konnten – also bereits für 91 Prozent, wobei berücksichtigt werden muss, dass der Großteil der Meldungen 2010/11 erfolgte, 2012 waren es 240 und heuer bisher 89 Meldungen.
Die Fälle im Bereich der katholischen Kirche sind natürlich im besonderen Maße empörend, aber es muss bewusst sein: Es handelt sich bei Missbrauch und Gewalt um ein grauenvolles gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Auch wenn sich Strukturen und Einstellungen im Laufe der Jahre zum Besseren verändert haben, wird es nie einen Schlussstrich geben können. Der Kampf gegen Missbrauch und Gewalt ist eine Daueraufgabe, wobei ich ausdrücklich auch die wichtige Rolle der Medien und von Betroffenen-Initiativen zur notwendigen Sensibilisierung der Öffentlichkeit und zur Bewusstseinsbildung hervorheben möchte.
Im vorliegenden Buch beleuchten unsere Kommissionsmitglieder die verschiedensten Blickwinkel unserer Arbeit, Erfahrungen und Perspektiven: Fachlich von der Psychologie und Psychiatrie über die Pädagogik, Sozialarbeit bis hin zum Recht, über die Bedeutung der Kinderrechte, die Begegnung mit den Opfern, aber auch den Umgang mit den Tätern, die Bedeutung der Medien und der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Natürlich wird auch das spezifisch Katholische am Missbrauchsfrevel sehr kritisch analysiert.
Autorinnen und Autoren sind alle Kommissionsmitglieder – Brigitte Bierlein, Hubert Feichtlbauer, Reinhard Haller, Udo Jesionek, Ulla Konrad, Werner Leixnering, Caroline List und Kurt Scholz –, Universitätsprofessorin Brigitte Lueger-Schuster, Herwig Hösele und der mutige deutsche Jesuitenpater Klaus Mertes, der den Missbrauchsskandal in Deutschland aufgedeckt hat, Wolfgang Pirker, der als Betroffener einen Beitrag geschrieben hat, und Franz Josef Stangl, der uns ebenfalls als Betroffener einen Text zur Verfügung gestellt hat. Sie alle legen aufrüttelnd und sehr betroffen machend persönliches Zeugnis ab, so wie in diesem Buch vollkommen anonymisierte, aber leider sehr typische erschütternde Berichte abgedruckt sind.
Es sind in den letzten Jahren und auch in der letzten Woche mehrere sehr wichtige und verdienstvolle Bücher und Publikationen zum Thema erschienen. Das nunmehr im Leykam-Verlag erschienene Buch (im Buchhandel um 21 € erhältlich) ist aber der erste grundlegende Versuch, ausgehend von unserer Tätigkeit ein möglichst umfassendes Bild dieses furchtbaren gesamtgesellschaftlichen Phänomens des Kindesmissbrauchs mit konkreten Vorschlägen für die Maßnahmen, Strategien und Strukturen zu geben, um wirksam vorzubeugen.
Öffentliches Bekenntnis von Staat, Kirche und Gesellschaft
Daher werden in diesem Buch seitens der Unabhängigen Opferschutzkommission u.a. folgende Vorschläge erneuert:
1. Es gilt, gesamtgesellschaftlich ein unmissverständliches Signal zu setzen, das die Religionsgemeinschaften und sämtliche andere Einrichtungen, in denen Missbrauch stattgefunden hat, einbezieht.
Dies sollte ein öffentliches Bekenntnis der verantwortlichen Repräsentanten von Staat, Kirche und Gesellschaft zur Verantwortung gegenüber den Opfern ebenso umfassen wie
- eine angemessene und würdige Veranstaltung mit Opfervertretern,
- klare Entschuldigungen und einen glaubwürdigen Dialog,
- weitere finanzielle Gesten und therapeutische Begleitung für alle Opfer und
- eine breite soziologische, sozialpsychologische, therapeutische, juridische, organisations- und kriminalsoziologische und historische Aufarbeitung der Opferfälle.
2. Die Kommission empfiehlt dazu die Etablierung einer
„Österreichischen Präventionsplattform zum Schutz vor körperlicher,
seelischer und sexueller Gewalt“
Diese Initiative sollte von der Bundesregierung ausgehen und alle öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen (z.B. Gebietskörperschaften, Kirche, Sport- und Jugendvereine, Justizverwaltung, Einrichtungen der Altenbetreuung, der sozialen Wohlfahrt etc.) einbeziehen.
3. Darüberhinaus ist die Einrichtung einer leicht erreichbaren („niedrigschwelligen“) Hotline für alle – Hilfe und Schutz für Opfer und Prävention von Missbrauch und Gewalt, die Vernetzung der bestehenden Opferschutzeinrichtungen und die Nutzung von „Social Media“ im Interesse von Gewaltschutz und Prophylaxe notwendig.
Zu all diesen Schritten könnten die derzeit bestehenden Kommissionen ihre fachliche und personelle Expertise zur Verfügung stellen und eine Verbindung und den Opferschutzeinrichtungen gewährleisten. Ebenso wären das gezeigte positive Interesse und die inhaltliche Kompetenz der Volksanwaltschaft zu nützen.
Es sind vor allem wichtige Schwerpunkte zu beachten:
- Auf der Ebene der Familien und aller Erziehungsgemeinschaften ist ein Verhalten zu fördern, das von Vertrauen, Zuhören, sich Zeit nehmen, hin- und nicht wegschauen geprägt ist.
- Für jeden Einzelnen gilt es „Zivilcourage zu leben und zu ermutigen“ und aufmerksam zu sein, sich Hilfe holen zu trauen und auch zu geben und einen offenen Umgang zu pflegen. Hinschauen, nicht wegschauen muss die Devise sein.
- Vor allem die Achtung der „Kinderrechte“, die nunmehr auch ausdrücklich verfassungsrechtlich garantiert sind, ist in allen Bereichen entschieden zu fördern. Unser Kommissionsmitglied, die Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtes Brigitte Bierlein, macht darauf in ihrem Buchbeitrag besonders aufmerksam.
- Wachsamkeit und Offenheit sind wesentlich für Prävention, Prophylaxe und Aufklärung.
- Auf die Ausbildung und pädagogische und psychologische Begleitung von Personen, denen Kinder und Jugendliche anvertraut sind, ist besonderes Augenmerk zu legen. Das gilt ganz besonders auch für die geistlichen Berufe – hier wurde auch schon wichtige erste Schritte etwa in der Überprüfung der Eignung zum Priesteramt und in der Priesterausbildung gesetzt.
- Es geht insbesondere auch um Strukturen, die Missbrauch und Gewalt möglichst unwahrscheinlich machen – um ein offenes Klima statt geschlossener Systeme.
- Die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft und Unabhängige Opferschutzkommission regen die Bildung von Selbsthilfegruppen Betroffener von Missbrauch und Gewalt an und werden diese auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen.
Klasnic fasste das Engagement der Opferschutzkommission in diesem Buch folgendermaßen zusammen:
„Der Einsatz, der in meinem Leben viele Begegnungen voll Bitternis brachte, aber auch als Weg zu neuer Zuversicht notwendig war, hatte Sinn.
Als Folge kämpfen wir um eine PRÄVENTIONSBEAUFTRAGUNG des Staates in der Gesamtverantwortung. Dieses Wort kämpfen ist sehr bewusst gewählt! Das gilt gerade auch für die jetzt begonnene neue Legislaturperiode des Nationalrates und die neuzubildende Bundesregierung, der gegenüber wir selbstverständlich diese unsere Anliegen entschieden vertreten werden. Wir haben mit Bundeskanzler und Vizekanzler bereits Kontakt aufgenommen.
Nie wieder – muss ganz besonders auch ein Kampf gegen Missbrauch und Gewalt für Kinder, wo immer diese leben, sein.
Ein besonderer Dank an alle, die in diesen Jahren Stütze und Hilfe der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft waren. Danke auch an alle, die täglich auch in den nächsten Jahren bereit sind, die begonnene Aufgabe weiter zu begleiten.
Ehrenamtlich und als Zivilgesellschaft sich einzubringen, sind keine leeren Worte. Verantwortung wird wahrgenommen! Das gilt für die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft und das gilt für viele zivilgesellschaftlichen Einrichtungen.
Wir und ich haben uns mit aller Kraft und ganzem Herzen bemüht und wir werden uns weiter bemühen.
Die Antwort aber können nur die Opfer geben. Die Würde des einzelnen Menschen ist das höchste Gut.“
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